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Stadtteilmuseum Nowaweser Weberstube, Foto: PMSG Julia Nimke
Stadtteilmuseum Nowaweser Weberstube, Foto: PMSG Julia Nimke
Stadtteilmuseum Nowaweser Weberstube, Foto: PMSG Julia Nimke
Stadtteilmuseum Nowaweser Weberstube, Foto: PMSG Julia Nimke
Weberhäuser in Babelsberg, Foto: PMSG Julia Nimke

Im Gespräch – Andreas Huxol über das Weberviertel Babelsberg

Bis heute findet man in Babelsberg Spuren der böhmischen Weber, die hier lebten. Dort, wo sie einst unter harten Bedingungen, häufig bis spät in die Nacht, am Webstuhl arbeiteten, spinnt heute das Stadtteilmuseum Nowaweser Weberstube ihre Geschichten weiter. Zwei kleine Räume erzählen von der über 200 Jahre alten Geschichte der Dörfer Nowawes und Neuendorf, von dem Leben der Weber und Spinner und vom Aufblühen der beiden Orte. Der vordere Raum lässt erahnen, wie bescheiden die ersten Bewohner des Hauses gelebt haben. Ein großer Webstuhl erfüllt den Raum, historische Utensilien wie Spinn- und Spulrad, Schiffchen und Spulen dokumentieren die Arbeitsmittel.

Andreas Huxol lebt in Babelsberg. Seit seinem beruflichen Ausstieg 2013 ist er Vorstandsmitglied des Stadtteilmuseums, die Weberstube Nowawes. Herr Huxol kümmert sich um die Digitalisierung der Archivbestände und forscht zur Historie von Babelsberg.

Lieber Herr Huxol, wenn man Sie bei einem Besuch in der Weberstube antrifft, spürt man sofort Ihre Leidenschaft für das Viertel und seine Geschichte. Wie kam es dazu?

Als Techniker hatte ich beruflich viel mit Zahlen, Daten und Fakten zu tun. Zum Ausgleich habe ich mich privat schon seit Jahren mit der Herkunft der Familie, also der Genealogie, beschäftigt. Damit war das Interesse an historischen Ereignissen geweckt. Die Arbeit im Archiv des Vereins hat mich speziell auf das Thema Babelsberg Nowawes gelenkt. Ich wohnte schon etliche Jahre in Babelsberg, ohne die geschichtlichen Hintergründe zu kennen. Ich finde diese Aufgabe einfach sehr spannend, auch weil ich feststelle, dass immer mehr Einwohner sich für die historischen Wurzeln ihres Stadtteils interessieren.

Wie kam es zu der Gründung dieses Weberviertels?

1750 ließ Friedrich II. durch den damaligen Oberst Wolf Friedrich von Retzow einen Aufruf zur Gründung einer böhmischen Weber- und Spinnerkolonie veröffentlichen. Die Kolonie Nowawes stand in einer Traditionslinie brandenburgisch-preußischer Siedlungspolitik, die Friedrich Wilhelm von Brandenburg-Preußen, der Große Kurfürst, nach dem verheerenden Dreißigjährigen Krieg begründet hatte. Friedrich II. beabsichtigte mit der Gründung von Nowawes eine bessere Versorgung des Landes mit Wollstoffen. Die Entwicklung von Wollmanufakturen hielt er in ganz Preußen für besonders wichtig, da große Mengen teurer Spinnwolle, insbesondere aus Sachsen, importiert werden mussten. 1753 wurde mit der Einweihung der Kirche auf dem jetzigen Weberplatz die erste Bauphase abgeschlossen. In 150 bescheidenen Fachwerk-Doppelhäusern lebten etwa 700 Menschen, vor allem Weber und Spinner mit ihren Familien. Nach dem Siebenjährigen Krieg wurde Nowawes ab 1763 um etwa 50 Häuser erweitert. In diese Häuser zogen „ausländische“ Bauhandwerker, die für den Bau des Neuen Palais benötigt wurden. Sie kamen aus Sachsen, Thüringen, Bayern oder der Schweiz. Natürlich gab es neben Webern, Spinnern und Wollstreichern auch die notwendigen Dorfhandwerker zur Selbstversorgung der Koloniebewohner wie Bäcker, Schlachter, Maurer, Stellmacher, Schlosser, Tischler und Schneider.

Die sogenannten Weberhäuser sind Typenhäuser und prägen das Gesicht des Viertels. Können Sie uns den Aufbau der Häuser beschreiben und uns einen Einblick davon geben, wie es sich darin lebte?

Das typische Weberhaus hat an der Frontseite fünf Achsen: Fenster – Fenster – breite Tür – Fenster – Fenster. Auf jeder Seite wohnte eine Familie. Hinter den zwei Fenstern der Straßenseite befand sich die Stube, die gleichzeitig auch der Arbeitsraum des Webers war. Dort stand der Webstuhl. Eine Tür führte von dort in einen kleineren Raum, der als Warenlager und Elternschlafzimmer diente. Nur die Kleinkinder durften ebenfalls hier schlafen. Einzig das Erdgeschoss konnte beheizt werden. Die größeren Kinder schliefen im ungeheizten Obergeschoss unter dem Dach in einem Bretterverhau, im Sommer kuschelig warm und im Winter „etwas“ kühler.

Bei den ersten Kolonistenhäusern gab es am hinteren Ende des Flures die schwarze Küche, so genannt, weil es keinen Rauchabzug gab. Das Plumpsklo befand sich im Hof. Wenn diese Grube geleert wurde, erfolgte damit die Düngung des Gartens. Wasser für Haus und Garten wurde per Eimer herbeigeschafft. Im Weberviertel gab es 30 Brunnen mit Handpumpen auf den Straßen. In der heutigen Karl-Liebknecht-Straße standen sieben Brunnen. Für die Müllentsorgung wurden Gruben im Garten ausgehoben. Die Straßen waren natürlich noch nicht gepflastert.

Das Leben und die Arbeit der Weber in Babelsberg waren hart. Mit welchen Herausforderungen kämpften sie? Wie entwickelte sich ihre Position im Stadtgefüge?

Es gab viele Einflussfaktoren auf das Leben der Nowaweser Weber. Die Weber in Nowawes waren nicht selbstständig. Sie waren in ein Verlagssystem eingebunden, das heißt, jeder Weber war einem von vier Verlegern zugeordnet. Diese kamen aus Berlin. Sie lieferten die Rohware an die Weber und nahmen nach der Verarbeitung das Fertigprodukt ab. Die Verleger lieferten nur so viel Rohware, wie sie als Fertigprodukt absetzen konnten. Der Gewinn lag bei den Verlegern, das Risiko bei den Webern.

Die Nowaweser Weber verarbeiteten Kattun, also importierte Baumwolle. Nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges 1763 fiel Schlesien an Friedrich II. Dort lebten auch sehr viele Weber, die aber Leinen verarbeiteten und somit günstiger produzieren konnten. Die Nowaweser Weber waren nicht bereit, auf die Verarbeitung von Leinen umzustellen.

1810 entfiel der Status als Kolonie. Damit endeten auch die Hilfszahlungen aus der königlichen Kasse. Die Armut nahm dramatische Folgen an, man sprach sogar vom „Weberelend“. Erst nachdem durch den Regierungsrat Wichgraf nach 1850 die Webschule gegründet wurde und neue Webtechniken eingeführt wurden, ging es den Webern wieder besser. Die Anzahl der betriebenen Webstühle stieg von etwa 100 auf fast 1000 an. Durch die beginnende Industrialisierung ab Mitte des 19. Jahrhunderts zogen immer mehr Arbeiter nach Nowawes. Der prozentuale Anteil der Weber sank dadurch enorm. Das Weberhandwerk wurde nach und nach durch Maschinen ersetzt. Der letzte Nowaweser Webermeister stellte seine Arbeit nach 1930 ein.

Wie würden Sie das Viertel damals und heute charakterisieren?

Die Einwohner von Nowawes waren anfangs überwiegend Handwerker und Tagelöhner. Es lebten hier zwei Sprachgruppen – die tschechisch sprechenden Böhmer und die deutsch sprechenden „Ausländer“ aus Sachsen, Thüringen, Bayern und der Schweiz. Die Kolonie war zweisprachig und es gab gewiss auch Konflikte. Die Integration hat etwa 50 Jahre gedauert.

Mit der Industrialisierung nahm die Zahl der Einwohner sehr stark zu. Die Industriearbeiter stellten die Mehrzahl der Einwohner. Sie lebten in ärmlichen Verhältnissen. Potsdam war eine Beamtenstadt, dort wollte man mit der Industriestadt, dem „Roten Nowawes“, nichts zu tun haben.

Heute ist Babelsberg einer der angesagtesten Stadtteile Potsdams. Auffällig ist, dass jetzt insbesondere viele junge Familien in Babelsberg wohnen. Auch fremde Sprachen sind keine Seltenheit. Babelsberg ist ein in sich funktionierender Stadtteil. Hier findet man alles, was für das tägliche Leben und die Freizeitgestaltung erforderlich ist.

Wie und wo kann man der Geschichte des Weberviertels am besten nachspüren?

Der beste Startpunkt ist die Nowaweser Weberstube, also das Stadtteilmuseum. Hier kann man sich auch über Dinge informieren, die im Stadtbild längst verschwunden sind. Die Karl-Liebknecht-Straße, der Weberplatz und die Karl-Gruhl-Straße bieten einen sehr guten Einstieg, um ein Gefühl für den Ort zu bekommen. Im Restaurant Hiemke kann man dann an historischer Stätte seine Eindrücke in Ruhe verarbeiten. Wer gut zu Fuß ist, sollte unbedingt auch die Mühlenstraße besuchen. Hier findet man einige Wandbilder des Malermeisters Selle, die die Geschichte des Ortes visualisieren.

Außerdem erinnern heute einige Straßennamen an die Geschichte des Viertels: die Garn-, Wolle- und Tuchmacherstraße, die Straße Alt Nowawes oder der Weberplatz.

Ein Winterspaziergang durch den hügeligen Park Babelsberg

Die kalte Jahreszeit hält uns nicht vom Spazierengehen ab. Das Schöne an Potsdam ist, dass Dank der Landschaftsarchitekten vergangener Jahrhunderte nicht nur ein weiter Blick möglich, sondern auch gewollt ist. In den Parks bis „raus“ in die Bornimer Feldflur wurden bewusst Sichtbeziehungen geschaffen. Das entspannt nicht nur die Augen, sondern auch die Seele.
360° city view